Frühe Neuzeit - Die etwas andere Chronik
1634: Ein Schuhmacher im Dreißigjährigen Krieg
Tod, physische und psychische Verletzungen, Angst, Vertreibung,
Flucht, Elend - das sind Begriffe, die wir mit Krieg in
Verbindung bringen. Und dies nicht erst seit den Weltkriegen
des 20. Jahrhunderts.
Auch Hans Heberle, ein Landwirt und Schuhmacher, der vor
300 Jahren lebte, musste einen Krieg mit all' den leidvollen
Nebenerscheinungen miterleben.
Heberle, geboren im Frühjahr 1597 in Neenstetten (nördlich
von Ulm), begann mit 14 Jahren eine Schuhmacherlehre bei
seinem Vater, ging Jahre später auf Wanderschaft bis
in das Gebiet zwischen der Fränkischen und der Schwäbischen
Alb und kehrte im Sommer 1622 zurück.
Vor seiner Heirat im Oktober 1627 erwarb Heberle ein Söldgut
(Haus, Hofraite, Stadel, Garten, Krautgarten und ein Viertel
Gemeindeacker), führte also fortan neben seinem Schuhmacherhandwerk
noch eine kleine Landwirtschaft. In der Folgezeit mußte
Heberle immer wieder "Kriegsdienst" im Landesausschuß
leisten.
Längst wütete in anderen Gebieten der sogenannte
Dreißigjährige Krieg (1618-1648), der grob in
vier Phasen unterteilt werden kann:
- böhmisch-pfälzischer Krieg (1618-23),
- niedersächsisch-dänischer Krieg (1625-29),
- schwedischer Krieg (1630-1635),
- schwedisch-französischer Krieg (1635-1648).
Bis zur Schlacht von Nördlingen im Jahre 1634 blieb
Ulm von größeren militärischen Aktionen
weithin verschont. Allein einzelne Einquartierungen, so
in den Jahren 1620, 1625 und 1628, waren hinzunehmen. Für
die Landbevölkerung hatte dies oft schwerwiegende Folgen:
Plünderungen und Brandschatzen ihrer Besitzungen seitens
der Truppen sowie die damit einhergehende Teuerung, denn
die vorhandenen Waren und Erzeugnisse mussten mit den lagernden
Soldaten geteilt werden.
Nach dem Bündnis der Stadt Ulm mit dem schwedischen
König Gustav Adolf in Frankfurt (13. Februar 1632)
war Süddeutschland der Schauplatz einer ständig
wechselnden Kriegslage. Immer wieder zogen Truppen durch
das Ulmer Land, wiederholt wurde die Stadt durch die kaiserlichen
Heere bedrängt, galt jedoch - mit Recht, wie sich in
diesem Krieg zeigen sollte - als uneinnehmbar.
Im Anschluss an die Niederlage der Schweden in Regensburg
(Juli 1634) flohen die schwedischen und weimarischen Truppen
in das Ulmer Territorium und richteten dort, entgegen den
Erwartungen, großen Schaden an. In dieser Zeit spitzte
sich die Situation vor allem für die Landbevölkerung
dramatisch zu. Die Geschehnisse um Hans Heberle und seine
Familie mögen dafür ein beredtes Zeugnis sein.
"Weil wir in [= ihn, gemeint ist Herzog Bernhard
von Sachsen-Weimar] aber für keinen feündt [=
Feind] hielten, und wir auch von der oberkeit nicht gewarnet
worden, hatten wir alles bey einand, roß und vüch
und alle haußgeret, all unser armut. Da fallen sie
unß in das landt, blündern uns alle auß,
roß und vüch, brot, mehl salz, schmalz, tuch,
leinwath, kleider und all unser armut. Sie haben die leit
ubel geschlagen, etliche erschossen, erstochen und zu
todt geschlagen." (Zillhardt, Heberles "Zeytregister",
S. 148)
Die Bewohner Weidenstettens, unter ihnen Hans Heberle,
wehrten sich zwei Tage lang gegen die zunächst für
Verbündete gehaltenen Truppen, jedoch ohne Erfolg:
"Dan weil wir unß lang gewehret, haben sie
das dorff angezündet und fünff heüsser
und 5 stedel abgebrandt. [...] Da komen die reiter, etliche
hundert, zu unß herein, blündern rauben und
nemen alles hinweg, was sie füehren und tragen kundten,
vüch und roß muß alles wegh, was sie
kenden ertappen, das wenig roß und vüch in
dem landt gebliben ist." (Zillhardt, Heberles "Zeytregister",
S. 148)
12 Tage später gebar Anna, die Ehefrau Heberles, das
5. Kind, Bartholome - dass dies vor allem für die Frau
und das Neugeborene eine enorme Belastung darstellte, braucht
kaum erwähnt zu werden. Hinzu kommt, dass in der Folgezeit
die Ernte eingebracht werden mußte, und dafür
stand kaum noch Vieh zur Verfügung.
Die Niederlage der schwedischen Truppen bei Nördlingen
im September 1634 und ihr Zurückweichen in Richtung
Ulmer Territorium verursachte eine große Fluchtbewegung
der Landbevölkerung in die Stadt Ulm.
Heberle, seine Frau und die fünf Kinder - 5 Tage,
23 Monate, 3 1/2, 4 1/2 und 6 Jahre alt - machten sich ebenfalls,
ohne oder nur mit wenig Gepäck, auf den Weg. Mit "vüll
tausendt menschen" trafen sie am Abend vor der Stadt
ein, wurden jedoch erst am nächsten Morgen eingelassen.
Enge und Hunger, Krankheit und Tod beherrschten das Leben
in der Stadt.
Es war bereits die zweite Flucht nach Ulm und es sollten
bis zum Jahre 1639 sollten es gar 29 Fluchten werden -,
um anschließend, bei der Rückkehr, meist einen
verwüsteten und geplünderten Hof vorzufinden.
Zudem verloren er und seine Frau in den Jahren 1634/35 vier
ihrer bis dahin fünf Kinder.
Heberle selbst wurde fast 80 Jahre alt. Im Frühjahr
1677 starb er und hinterließ seine Chronik, das sogenannte
"Zeytregister", aus dem diese Beschreibungen stammten.
Literatur und Quellen (Auswahl)
Zillhardt, Gerd: Der Dreißigjährige Krieg in
zeitgenössischer Darstellung. Hans Heberles "Zeytregister"(1618-1672).
Aufzeichnungen aus dem Ulmer Territorium (Forschungen zur
Geschichte der Stadt Ulm, Bd. 13). Ulm 1975
Links
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Ulmer Monatsblatt online
Krieg, Hunger und Pest in Ulm zur Zeit des Dreißigjährigen
Krieges mit Schilderungen zu Politik, Wirtschaft, Religion,
Gesellschaft und Medizin
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