Frühe Neuzeit - Die etwas andere Chronik
1698: Berufe in der Frühen Neuzeit
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Berufe kann der Arbeitssuchende derzeit (Stand August 2012)
auf der Internetseite der Agentur für Arbeit anwählen,
wobei hier jeweils auch die Spezifizierungen eines Berufsbildes
miteingerechnet sind: Allein beim Gärtner finden sich
beispielsweise neun Berufsbezeichnungen: den Gärtner
für die Baumschule, die Friedhofsgärtnerei, den
Gemüsebau usw.
An staatlich anerkannten Ausbildungsberufen nennt das Bundesamt
für Berufsbildung insgesamt 344 verschiedene Berufe
(Stand August 2012). Was aber versteht man eigentlich unter
dem Begriff "Beruf"?
Ein Beruf kann als eine Tätigkeit zur Befriedigung
der materiellen Bedürfnisse eines Menschen, zur Sicherung
des Lebensunterhaltes, definiert werden, die zunächst
einmal auf Dauer ausgelegt ist (im Gegensatz zum eher kurzfristig
angelegten "Job").
Mit einer Berufung im subjektiven Sinne hat der Beruf heute
immer seltener etwas zu tun. Doch der Begriff stammt ursprünglich
dorther: Nach dem protestantischen Berufsethos (v.a. von
Martin Luther formuliert) sollte jeder seiner "Berufung"
gemäß wirken, d.h. gemäß seinem Stand
und seinen Fähigkeiten, zur Ehre Gottes und zum Wohle
der Gesellschaft.
Dieser
Gedanke findet sich auch noch in der "Abbildung der
Gemein-Nützlichen Haupt-Stände" Christoph
Weigels (1654-1725) aus dem Jahre 1698: Gott habe den Menschen
"nicht auff einerley Art geschaffen", sondern
eine Ordnung vorgegeben, die den Einzelnen dem Regier-,
Lehr- oder dem Nährstand zuordnet. Mobilität,
d.h. ein Aufstieg oder, wie man heute sagen würde,
Karrieremachen, war in der Frühen Neuzeit lange nur
innerhalb enger Grenzen möglich. Der Mensch sollte
sich, so Weigel, der "Göttlichen unveränderlichen
Ordnung" gehorsam unterwerfen. Allerdings macht diese
Einteilung nur noch wenig Sinn, da sich die einzelnen Berufsgruppen
kaum vernünftig einordnen lassen.
Christoph Weigels Werk besteht aus 212 Kupferstichen, auf
denen jeweils ein Beruf dargestellt ist. Hinzu kommt jeweils
ein moralisierender Spruch, dessen Bezug zum Stich nicht
immer klar ist.
Der Regent steht zu Beginn. Zum Regierstand zählt
Weigel nicht nur den Regenten, sondern alle, die eine Regierung
repräsentieren, unterstützen und beschützen:
vom Soldaten über den Rat bis hin zum Advokaten und
Beamten. Waffenhersteller - Schwertfeger, Pulver- und Büchsenmacher
- und Seeleute, vom Admiral bis zum Bootsknecht finden sich
hier.
Zum Lehrstand zählen sowohl der Geistliche, der Schulmeister,
Cantor und Küster, die sich dem Wohle des Geistes widmen,
als auch der Doktor, der Bader, der Zahnarzt und Oculist
(Augenarzt). Wo sich nun die Grenze zwischen Lehr- und Nährstand
befindet, erläutert Weigel im Vorwort nicht. Nach der
Nennung etlicher Handwerksberufe - z.B. Schlosser, Maurer,
Dachdecker - folgen etliche Berufe, die mit der Her- oder
Bereitstellung von Nahrungsmitteln zu tun haben: Bäcker,
Bierbrauer, Fleischer und Bauer. Schlot-Feger, Kohler, Leich-Bitter
und Totengräber beschließen das Werk.
Neben
noch heute bekannten Berufen finden sich in Weigels Aufzählung
noch eine Reihe Tätigkeiten, die uns weniger geläufig
sein dürften: der Perlenbohrer, der mit einem Handbohrer
Löcher in die Perlen bohrt; der Fingerhüter, der
das gleichnamige Nähutensil herstellte; der Sand-Uhrmacher,
zu dessen Produkt sich natürlich ein mahnender Spruch
über die Vergänglichkeit und Ewigkeit anbot: "Beym
Stunden-Glas der Zeit, denck an die Ewigkeit."
Hinzu kommen Berufe, die für den süddeutschen
Raum eher ungewöhnlich sind: See-Admiral, Schiff-Pompenmacher
(Bombenmacher) und Ancker-Schmied. Auch stilistisch weichen
diese Stiche von den anderen ab. Sie stammen wohl von Jan
und Caspar Luyken, die in Amsterdam ebenfalls einen Band
mit Berufsbildern herausgebracht haben. Weigel hatte sie
bei ihnen in Auftrag gegeben. (Bauer: Weigel, Sp. 839 ff.)
Die im Ständebuch Weigels vorzufindende sehr weitreichende
Spezialisierung der technischen und handwerklichen Berufe
kündigte, nach Paul Münch (Lebensformen in der
Frühen Neuzeit, S. 71), eine Welt an, "der Produktion
und Produktivität zunehmend wichtiger wurde, eine Welt,
in der den handarbeitenden, traditionell geringer geschätzten
Schichten eine neue gesellschaftliche Rolle zuzuwachsen
begann."
Was auf diesen Bildern freilich nicht abgebildet ist, das
sind die negativen Folgen einzelner Tätigkeiten, die
Berufskrankheiten. Weigel stellt hier typische Arbeitssituationen
dar. Bis Ende des 17. Jahrhunderts findet sich in der Literatur
kaum etwas zum Thema Berufskrankheiten. Erst Bernardino
Ramazzini veröffentlichte 1700 ein Werk, in dem die
spezifischen Krankheiten und Beschwerden einzelner Berufsgruppen
aufgezeigt werden. (Siehe dazu noch einmal Münch: Lebensformen
in der Frühen Neuzeit, S. 462 ff.)
Bilder: Weigel, Christoph: Abbildung der
Gemein-Nützlichen Haupt-Stände (...). Regensburg
1698 (Die bibliophilen Taschenbücher Nr. 9)
Literatur und Quellen (Auswahl)
Weigel, Christoph: Abbildung der Gemein-Nützlichen
Haupt-Stände (...). Regensburg 1698 (Die bibliophilen
Taschenbücher Nr. 9)
Bauer, Michael: Christoph Weigel (1654-1725), Kupferstecher
in Augsburg und Nürnberg. Sonderdruck. Frankfurt a.M.
1983
Paul Münch: Lebensformen in der Frühen Neuzeit,
Frankfurt a.M./Berlin 1992, hier v.a. das Kapitel "Stände
und Schichten", S. 65 ff.
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