Während der
Ulmer Bauherr und Architekt Joseph Furttenbach am 27. August
1634 starkes Schießen von der Schlacht bei Nördlingen
hörte, machte sich der Seldner Hans Heberle mit seiner
Familie auf den langen, beschwerlichen Fußmarsch auf.
Für den ungefähr 15 Kilometer langen Weg von Widenstetten
bis Ulm dürfte die Familie mindestens fünf Stunden
gebraucht haben: Hans Heberle, seine Frau Anna, die erst Tage
zuvor einen Jungen, Bartholme, gebar, und ihre fünf Kinder
im Alter von 5 Tagen bis 6 Jahren.
Angekommen am späten
Abend mit "vüll tausend Menschen" vor den Mauern
Ulms, mussten die Familie Heberle im Freien nächtigen
- sofern dies möglich war. Erst am Morgen wurden sie
in die Stadt gelassen. Was mit den 8000 Flüchtlingen
in der Stadt geschehen sollte, war noch völlig unklar.
Vor allem die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln stellte
sich als ein nahezu unlösbares Problem dar. Krieg, Hunger
und Pest bildeten von nun an für viele Monate die Grundpfeiler
des elenden Lebens in und um Ulm.
Hans
Heberle
Hans Heberle ist
der Sohn eines Schuhmachers, geboren im Frühling 1597
in Neenstetten, nördlich der Stadt Ulm. Wohl als einziges
Kind der Familie besuchte Hans die Schule. Mit 14 Jahren begann
er bei seinem Vater eine Schuhmacherlehre, ging später
auf Wanderschaft, die ihn bis in das Gebiet zwischen der Fränkischen
und der Schwäbischen Alb führte. Im Sommer 1622
kehrte er zurück.
Vor seiner Heirat
im Oktober 1627 erwarb Heberle ein Söldgut (Haus, Hofraite,
Stadel, Garten, Krautgarten und ein Viertel Gemeindeacker)
im nahegelegenen Weidenstetten, führte also fortan neben
seinem Schuhmacherhandwerk noch eine kleine Landwirtschaft.
Währenddessen musste er wiederholt Kriegsdienst im Landesausschuss
leisten. Heberle begann 1634 mit den Aufzeichnungen, seinem
"Zeytregister", wohl eine Reinschrift einzelner
Notizen, die mit dem Jahre 1618 einsetzen.
Bis zum heutigen
Tag musste Hans Heberle mitsamt seiner Familie fünf Mal
in die Ulmer Stadt flüchten. Die Angst vor dem Feind
und das Umherirren in den Wäldern und auf den Feldern,
ohne Essen und Trinken, werden die einzelnen Personen wohl
niemals vergessen (siehe den Auszug).
Kaum jemand konnte noch Freund und Feind auseinanderhalten,
weil auch verbündete Soldaten das Land verwüsteten:
Als das Heer des Herzog Bernhards von Sachsen-Weimar näher
kommt, geschieht folgendes:
"Weil wir
in [=ihn] aber für keinen feündt [= Feind] hielten,
und wir auch von der oberkeit nicht gewarnet worden, hatten
wir alles bey einand, roß und vüch (=Vieh) und
alle haußgeret, all unser armut. Da fallen sie unß
in das landt, blündern uns alle auß, roß
und vüch, brot, mehl salz, schmalz, tuch, leinwath, kleider
und all unser armut. Sie haben die leit ubel geschlagen, etliche
erschossen, erstochen und zu todt geschlagen."
Kurze Zeit danach,
im August 1634, flohen die Heberles erneut nach Ulm (siehe
oben). Sie kehrten am 17. September zurück nach Weidenstetten,
am 19. starb der kleine Bartholme. Er wurde nur vier Wochen
alt.
Bis heute verschieden
weitere drei Kinder: der dreijährige Thomas, der bei
einer erneuten Flucht nach Ulm im Oktober 1634 ums Leben kam,
die siebenjährige Chatreina, die "seliglich in dem
Herren" im September 1635 entschlief und Heberles "herzallerliebster
sohn Johannes", der 15 Tage später aus dem Leben
schied. Beide letztgenannten haben vielleicht der großen
Hungersnot im Herbst nicht länger Widerstand bieten können.
Eine Mäuseplage brachte sehr schlechte Ernteerträge,
so dass Heberle bis nach Augsburg reisen musste, um billiges
Brot zu bekommen.
Zur Zeit befindet
sich die Familie Heberle in ihrem Heimatort Weidenstetten.
Nun zu Joseph Furttenbach:
Joseph
Furttenbach
Er war das 20.
Kind des evangelischen Rats- und Bauherrn sowie Forstmeisters
Hieronymus II. Furttenbach. Geboren um die Jahreswende 1592
in Leutkirch (Süd-Württemberg), reiste er mit knapp
16 Jahren - ganz in der Tradition seiner Familie - nach Italien.
Berufliche Bildung als Kaufmann und Weltgewandtheit sollte
er sich erwerben. Über zehn Jahre hielt er sich in den
Städten Mailand, Genua und Florenz auf und entdeckte
hier seine Neigung zur Architektur.
Um 1620 kehrte
er zurück nach Leutkirch, wurde 1621 Verwalter eines
Handelshauses in Ulm und verlegte nun seinen Wohnsitz dorthin.
Zwei Jahre später erwarb Furttenbach das Bürgerrecht
und heiratete Anna Katharina Strauß, die Tochter eines
bereits verstorbenen Ratsherrn. Im Januar 1624 nahm ihn die
Ulmer Kaufleutezunft auf. Seine Ernennung zum bürgerlichen
Lieutnant folgte und 1631 wurde er zum Bauherrn ernannt. Furttenbach
führt seit 1620 eine Chronik, aus der wir nachfolgend
zitieren.
Unter dem Datum
vom 20. Dezember 1628 nennt Furttenbach die vier Hauptplagen
seiner Zeit:
1. den Krieg: Reiter des Adam Philipp Freiherr zu Cronberg
verwüsteten sowohl das Land um die Stadt herum und gelangten
auch in die Stadt hinein, "renten die gassen darnider,
überritten vil kinder, ja auch große personen"
und raubten alle Arten von Waren;
2. die große Teuerung;
3. die Katholiken,
die der Ulmer Bevölkerung "die evangelische Kirchen"
zu nehmen trachteten;
4. die Pest, die in Ulm erste Todesopfer forderte.
Weit gefährlicher
wurde die Lage für Ulm ab dem Jahre 1634, da zunächst
der Krieg, anschließend Hunger und Pest der Bevölkerung
mehr und mehr zusetzte. Im September zeigten sich die ersten
Pesttoten und Furttenbach entwirft die Pläne für
ein neues Brechenhaus (d. i. ein Gebäude, das in Ulm
nur in Pestzeiten geöffnet wurde und das zur Unterbringung
der Pestinfizierten diente), welches möglichst schnell
gebaut werden sollte.
Die vielen Flüchtlinge
in der Stadt bereiteten dem Bauherrn viel Kummer. Er empfand
sie "als ein grössere pein, dann der krieg selbsten".
Als im Juli 1635
das Prager Friedensabkommen geschlossen wurde, herrschte laut
Furttenbach einerseits große Freude, andererseits gab
es Leute, die dem Abkommen wenig Bedeutung beimaßen.
Unter den Bürgern herrschte Zwietracht, die sich, forciert
durch reichlichen Alkoholgenuss der Einwohner, zu etlichen
Schlägereien entwickelte.
In der Folgezeit
bedrohte die Pest das Haus Furttenbachs. Seine Tochter erkrankte
(siehe den Auszug),
genas aber wieder, während sein Schwager, dessen drei
Söhne, eine Cousine, ein Sohn seiner Frau und ein Vetter
innerhalb weniger Tage verstarben.
Nicht nur die Furcht
vor der Krankheit selbst bekümmerte die Menschen, auch
die sozialen Folgen gingen nicht spurlos an ihnen vorbei.
Nach Furttenbach vermieden es einige, die Pesterkrankung eines
Verwandten zu melden, wie es ihre Pflicht gewesen wäre.
Nach der Pestordnung
von 1626 hätte die erkrankte Person in das Brechenhaus
gebracht werden müssen. Die übrigen Bewohner hätten
14 Tage lang das Haus nicht verlassen dürfen - bis auf
eine Person innerhalb des Haushaltes, die für das Besorgung
des Lebensnotwendigen zuständig gewesen wäre.
Sowohl die Trennung
von einem Familienmitglied als auch die Furcht vor der sozialen
Isolation, aber auch das Misstrauen gegenüber den Heilungschancen
innerhalb des Brechenhauses sowie die Angst vor einer unehrbaren
Bestattung mögen viele dazu bewegt haben, die Kranken
heimlich zu Hause zu behalten (siehe weiteren Auszug).
Ohnehin waren Leichenpredigten in diesen Zeiten untersagt.
Die letzten Monate
riefen also bei den Menschen unterschiedliche Gefühle
hervor: Die Landbevölkerung war ständig auf der
Flucht, ihr Hab und Gut wurde ihnen mehrfach genommen. Die
Gefahr, die von plündernden Truppen ausging, war für
sie ebenso groß wie die Gefahr durch die Pest. Die Stadtbevölkerung
hingegen empfand die Bedrohung durch die Seuche, zusammen
mit den katastrophalen sozialen und hygienischen Bedingungen
innerhalb der Mauern, als besonders bedrückend.
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