An dieser Stelle
stellen wir Auszüge aus Chroniken, Tagebüchern und
ähnlichen Quellen vor, die persönliche Eindrücke
zu einzelnen Themen wiedergeben sollen. Über die vergangenen
Monate liegen uns Aufzeichnungen des Architekten und Bauherrn
Joseph Furttenbach, des Bauern und Schuhmachers Hans Heberle
und des Münsterpredigers Konrad Dieterich vor.
1.
Joseph Furttenbach über die
Wiederkehr der Pest im Juli 1635 und seine Sicht der Zustände
innerhalb der Stadt;
2.
Hans Heberle über die schlechte Ernährung als
Ursache der Pest im Jahre 1635;
3.
Konrad Dieterich über die Ängste und die Not
in Ulm zur Zeit der Pest.
Aus
der Chronik Furttenbachs
Adi.
24 dito [Juli], risse die böse seüch der pestilenz,
in der statt Vlm, solcher massen ein, daß man fast nimmer
abwöhren könte, man hatt manichen tag von pauren,
bettlern, vnnd burgern in die 100 menschen zu grab getragen,
Gott erbarme sich vnnser, diejenige so gute Ordnung machen,
dem übel souil [=soviel] möglich abwehren solten,
die liessen alles gehn, wie es gienge, vnnd betaurten sich
im geringsten nicht, das so ein heroische statt, vnnd ansehnliche
burgerschafft, so ellendiglichen rouiniert, sterben, vnd verderben
musten, da war kein gebott, noch verbott, kein straff noch
hilff, sonnder die pauren, die pauren, die waren herr dominus,
vnd sollte die gannze statt darüber gehn, so fragte man
doch nichts darnach, dann man den alten regierenden herren,
in kein weiß noch weeg in kopff bringen könte,
das sie die pauren, vnnd die bettler (wellche den burgersman
nicht allein vin [=Wein] vorrath vnnuz verzerten, sonnder
sie macheten inen mit irem continuierlichen bettlen vnnd geschrey
tag, vnnd nacht, vnnd des vnlustigen wesens die seüchen
ankommen, betrübten vnns solcher massen, das mit keiner
feder dise trangsaal zubeschreiben ist, welches auch vil erger
dann [Einschub: nit] der offene krieg zuleiden war) zur statt
hinauß schaffeten, vnnd scheinet warlich, das man ein
rechtes wolgefallen darüber habe, daß die burgerschafft,
allso muotwillig sterben vnd verderben sollte, aber wehe eüch,
die ir an disem vnhail schuldig seit, wie werdt ir [Einschub:
-s] am grossen tag deß herren, vor dem gerechten richter
verantwurtten können gedenckhet ir nicht, das durch solches
grosse feür, so ir nit zu löschen begert, ia endtlich
eüer heüser auch hinweckh nemmen wirt, ia freillich
wirt die pestilenz eüer ebenso wenig, dann des gemeinen
pöfels verschonen, habt ir den pauren (die umb eüers
aigenen geizes willen, von eüch so hoch refferiert werden)
vnd allso den laibaignen leütten, ia den knechten, den
aidt, oder aber eüren mitburgern, die eüer fleisch
vnd bluott seind, geschworen, ach der diß schreibet
der war täglich bey disem ellend, der schreyet vnnd seüffzet,
wie der paur zu Ierusalem, wehe, wehe, wehe, der statt Vlm,
ach der hailland der wellt, laß die ienigen so vnschuldig
an disem übel seind, nicht gar zu grund gehn, vnd verderben,
sonnder hilff vnnß umb deiner barmherzigkeit willen,
so wellen wir dich loben vnd preissen.
Bild: Joseph Furttenbach,
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zu ihm
Aus dem Zeytregister Heberles
Dan durch den hunger
ist von denen armen menschen vüll greülich und abscheüliches
dings auffgefressen worden. Alls nemlich allerley ungereimbten
dings: hundt und katzen, meüß und abgangen vüch,
roßfleisch, das der schinder und meister uff dem vassen
sein fleisch von dem abgangne vüch, als roß, hundt
und andere thier, ist hingenommen worden, und haben dannoch
einander drumb gerißen und für köstlich gut
gehalten. Es ist auch für gut gehalten worden allerley
kraut uff dem feld: die distel, die nesle, schersisch, hanefüß,
schmerbel, schertele. In suma allerley kraut ist gut gewessen,
dan der hunger ist ein guter koch, wie man im sprichwort sagt.
Dan durch diese hunger ist ein grosser sterbet und pestelentz
entstanden, das vüll taussend menschen gestorben.
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zu Heberle
Aus
der Neujahrspredigt Dieterichs
Was
war es für ein trawriger Anblick / daß fast kein
Stund / vor vnd nach mittag / vorübergangen / da man
nicht viel Todten Leichen nach einander durch alle Gassen
her / hinauß getragen / oder die Todtenträger mit
den Todtenschragen auß- und eingegangen / sonderlich
mitten in dem strengen Sterben / da manchmal auff einen Tag
in 150. 160. auch Hundert vnnd etlich vnnd Sibenzig / welches
das Höchste gewesen / sind hinauß getragen worden.
Sollte das nicht ein Jammer / nicht ein Elend / nicht ein
Noth gewesen sein? O / ein groß Jammer / ein groß
Elend / ein groß erschröcklich Noth! Was ist für
Jammer vnnd Noth / Furcht vnnd Schröcken hierbey vnder
allen vorgangen / inn dem die Krancken vnnd Patienten in Häusern
mit Jammer seufftzenden Ach und Wehklagen / die Gesunde theils
mit Weinen vnnd Heulen / wegen der Krancken / Sterbenden vnnd
Todten angefüllet / theils wegen Furcht / Angst vnnd
Schröcken / kein Stund noch Augenblick ihres Lebens gesichert
/ sondern wer heut gesund / auff den Abend oder Morgen kranck
/ auch wol gar Todt. Daß wo man gefragt: Wo ist der
vnnd der? Was macht der vnnd der? Es geheissen / Er ist gestorben
/ er ligt langst vnder dem Boden / er kombt bald wider.
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